Kiefergelenkschmerzen werden von Betroffenen als besonders störend empfunden, da sie bei nahezu jeder alltäglichen Tätigkeit auftreten und somit andauernd an das Leiden erinnern. Es kommt insbesondere beim Sprechen, Kauen und Abbeißen zu Beeinträchtigungen. Aber welche Ursachen stecken hinter diesen Schmerzen und wie können diese auf Basis präziser Diagnostik- und Therapieverfahren heutzutage behandelt werden?
Zur Beantwortung dieser Fragen hat info Medizin die Expertin für die Behandlung von Kiefergelenkerkrankungen Frau Dr. Andrea Diehl zum Interview gebeten. 2006 gründete Frau Dr. Diehl das CMD Kompetenzzentrum in Berlin. In ihrer Praxis zahnMedic hat sich die Zahnärztin auf die Behandlung von chronischen Kiefergelenksbeschwerden spezialisiert.
„Cranium“ bedeutet Schädel und „Mandibula“ ist der Unterkiefer. Bei einer craniomandibulären Dysfunktion liegt eine muskuläre Fehlfunktion im Kiefergelenk vor.
Ein Gelenk ist immer nur so gut wie seine Muskeln. Auch im Kiefergelenk haben wir Muskeln. Wenn diese Muskeln nun dysfunktional, d.h. nicht „richtig“, arbeiten, spricht man von einer CMD. In der Regel ist es so, dass die kieferschließende Muskulatur kräftiger als die kieferöffnende Muskulatur ist. Auf diese Weise entsteht eine Dysbalance im Kräftegleichgewicht. Grundsätzlich unterscheidet man bei einer CMD zwischen akut und chronisch. Mein Spezialgebiet ist die chronische CMD. Das sind Schmerzen, die länger als drei Monate anhalten und mit den Maßnahmen, die man für akute Erkrankungen anwendet, nicht therapierbar sind.
Das häufigste Symptom sind Nackenschmerzen. Doch auch Kopfschmerzen und Schmerzen direkt in den Gelenken sind typisch. Häufig geht die CMD auch mit Knack- oder Reibegeräuschen in den Kiefergelenken einher. Kieferpressen und Zähneknirschen (Bruxismus) sind ebenfalls typische Begleiterscheinungen. Die Symptome können sich aber auch in anderen Körperbereichen äußern, wie etwa als Tinnitus, Schluckbeschwerden oder in Form von Migräne.
Über die Ursachen wird sehr kontrovers diskutiert. Es gibt Ursachen in der Nähe des Kiefergelenks, das heißt, die durch Zahnbehandlungen bedingt sind. Dazu zählen bspw. das Entfernen von Weisheitszähnen, eine kieferorthopädische Behandlung oder zahnärztliche Rekonstruktionsmaßnahmen. Kiefergelenkbeschwerden können im zeitlichen Zusammenhang mit diesen oder anderen zahnärztlichen Behandlungen stehen. Stehen sie im direkten zeitlichen Zusammenhang, spricht man von einer akuten CMD, treten die Beschwerden erst Monate später auf, von einer chronischen CMD.
Die Ursachen einer chronischen CMD liegen häufig in Problemen, die aus der Körperhaltung hervorgerufen werden. Ursächlich kommen Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Darmdysbiosen oder schlechte Ernährung vor. Bei Frauen kommt es auch häufig vor, dass nach der Schwangerschaft die Gebärmutter nicht richtig steht oder rotiert ist. Doch der eigentliche verursachende Ko-Faktor für eine CMD ist Stress. Wenn der menschliche Körper „schief“ ist, macht das allein noch keinen Schmerz, aber „schief plus Stress“ verursacht Schmerz. Aus diesem Grund suchen wir bei der Diagnose immer den Auslöser bzw. Stressor, der den Schmerz hervorgeholt hat. Wir beachten immer die Lebensumstände des Patienten. Eine besonders typische Situation ist etwa, wenn jemand von seiner Heimat in eine neue Stadt gezogen ist und mit den Veränderungen noch nicht klar kommt. Für eine akute CMD bei Kindern bzw. Jugendlichen dagegen ist ein typischer Auslöser die Abiturzeit. In dieser intensiven Phase entsteht viel Stress, sodass Kiefergelenkbeschwerden auftreten können. Sind die Klausuren vorbei, hören die Beschwerden aber auch schlagartig wieder auf.
Es ist für mich also immer ganz wichtig zu überprüfen, ob die Stresssituation anhaltend oder bestehend ist. Fragen, die hier geklärt werden müssen sind etwa: Liegt der Stressor im Job oder im Privatleben? Ist er kurz- oder langfristig? Wie lange besteht er schon? Aufbauend auf diesen Aspekten wird dann ein Therapiekonzept entwickelt.
Als Diagnoseverfahren stehen mir die Manuelle oder Klinische Funktionsanalyse sowie die Manuelle Strukturanalyse zur Verfügung. Für die instrumentelle Analyse verwende ich das „Zebris-JMA-System“. Mit diesem ultraschallbasiertem System zeichne ich die Bewegungsbahn des Kiefergelenks auf. Ich fertige also eine Videoaufnahme von der Bewegung des Unterkiefers an. Auf diese Weise kann der Patient sehen, wie genau er seine Kieferbewegung ausführt und wie er von der Idealbewegung abweicht. Ein „Bewegungsstereotyp“ ist ein definierter idealer Bewegungsablauf – eine Bewegung sollte immer auf dieselbe Art und Weise im Alltag ausgeführt werden. So verursacht immer wieder das gleiche falsche Aufstehen aus dem Bett Rückenschmerzen. Wenn dieser Bewegungsablauf nun verändert wird und der Patient sich fortan rückenschonend aus dem Bett begibt, können die Schmerzen behoben werden. Genau das Gleiche trifft auch auf die Kieferbewegungen zu. Meine Patienten bekommen von mir also eine „Hausaufgabe“. Ich zeige ihnen konkrete Übungen, um die Kiefergelenkbewegung zu verbessern. Der Patient muss immer aktiv mit arbeiten, um erfolgreich therapiert zu werden.
Die Schulmedizin ist der Ansicht, dass eine Schienen-Therapie immer hilft. Meine persönliche Erfahrung zeigt aber, dass diese Therapieform bei Patienten mit chronischen Schmerzen nicht gut funktioniert. Ich habe daher mein eigenständiges Therapiekonzept entwickelt. Es basiert auf der „Wiederherstellung der kraniomandibulären Funktionen“. Im Prinzip arbeite ich wie ein moderner Orthopäde oder Osteopath. Dieser sucht auch die Fehlfunktion in den Gelenken und stellt diese wieder mit speziellen Griffen ein und gibt dem Patienten eine Anleitung für bestimmte Übungen zur Stabilisierung der Gelenke mit. Genau das gleiche Prinzip wende ich für das Kiefergelenk an. Dank meiner Ausbildung in der Osteopathie kann ich Kieferfehlstellungen osteopathisch korrigieren. Anschließend erhält der Patienten Übungen für die Stabilisierung.
Die einzelnen Therapiesitzungen betragen in der Regel nicht mehr als 30 Minuten. Der gesamte Therapieverlauf ist im Prinzip genauso wie bei einer orthopädischen Behandlung. Ich stelle in der ersten Sitzung das Kiefergelenk wieder gerade und anschließend führt der Patient seine Übungen zu Hause aus. Nach etwa zwei Wochen kommt der Patient zur Nachuntersuchung. Hierzu habe ich dieses Jahr auch eine Studie durchgeführt und festgestellt, dass bei den meisten die Schmerzen bereits nach zwei Wochen weg sind. Für viele klingt das überraschend, doch ich mache, wie gesagt, genau das gleiche wie ein Orthopäde oder Physiotherapeut. Wer Rückenschmerzen hat bekommt eine Analyse, wo seine Fehlhaltung, bspw. beim Sitzen, liegt und wie er dieser mit gezielten Übungen entgegenwirken und seine Muskeln stärken kann. Und genau das Gleiche mache ich für das Kiefergelenk. Hier liegt auch die Besonderheit in meiner ganzheitlichen Therapieform, mit der ich mich von bisherigen Methoden abgrenze.
Wie bereits angedeutet, berücksichtige ich bei meinen Patienten nicht nur die körperlichen Symptome, sondern auch mentalen (psychischen) Zustand. Ich bin dabei der Ansicht, dass man sich immer vor Augen halten muss, dass der Patient sehr häufig seine Stresssituation nicht einfach so verlassen kann. Das heißt auch, dass kurz angewandte „Stress- oder Zeitmanagement-Kurse“ nicht wirklich funktionieren. Für eine erfolgreiche Behandlung muss man viel tiefer gehen und den Patienten ein dauerhaftes Konzept mitgeben. So ist ein weiterer großer Pfeiler meines Therapiekonzepts die Ernährung. Wie ich bereits mehrfach feststellen konnte, können die Schmerzen durch Ernährung in Kombination mit der richtigen Bewegung komplett eliminiert werden. Ich fahre in meiner Praxis also ein ganzheitliches und auf den Patienten individuell abgestimmtes Therapiekonzept und bleibe eben nicht bei stereotypen Behandlungsvorgaben stehen. Dies führt zu einer erfolgreichen und dauerhaften Behandlung von Kiefergelenkbeschwerden.
Frau Dr. Andrea Diehl ist als Zahnärztin und Heilpraktikerin in Berlin tätig und hat sich insbesondere auf die Behandlung chronischer Kiefergelenkschmerzen spezialisiert. Weitere Informationen über Fr. Dr. Diehl und ihr Behandlungsspektrum erhalten Sie auf ihrer Website:
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