Experteninterviews
2015-09-17

Reizdarmsyndrom - Ursachen, Symptome und Behandlung

Dr. Benotmane - Schlafmediziner und Allergologe in München

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Dr. Boumediene Kada Benotmane

Schlafmediziner und Allergologe in München

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Was ist das Reizdarmsyndrom? 

Das Reizdarmsyndrom (engl. «irritable bowel syndrome», IBS) zeigt sich für den Patienten meist durch chronische Bauchschmerzen oder Unwohlsein und Stuhlunregelmäßigkeiten. Nur etwa 10 bis 30 Prozent der Betroffenen beanspruchen ärztliche Hilfe.

Da die Symptome beim Reizdarmsyndrom sehr vielfältig und unspezifisch sind, sollten durch entsprechende Untersuchungen zunächst andere organische Erkrankungen ausgeschlossen werden. 

Symptome des Reizdarmsyndroms

Patienten, die unter dem Reizdarm leiden, klagen über ein sehr breites Spektrum an Beschwerden, wie z.B. Übelkeit, Bauchschmerzen, Völlegefühl, Blähungen, Stuhlunregelmäßigkeiten sowie das Gefühl der unvollständigen Darmentleerung, verstärkte Flatulenz (Abgang von Darmwinden), Darmgeräusche, erkennbarer Schleim beim Stuhlgang, Reizblase oder häufiger Harndrang. Diese Symptome sind häufig verbunden mit Müdigkeit, selten treten auch Muskelschmerzen (Fibromyalgien) auf.

Ursachen des Reizdarmsyndroms

Über die eigentlichen Ursache des Reizdarmsyndroms und warum manche Menschen betroffen sind und andere nicht, ist noch wenig bekannt. Eine einfache Infektion oder Ähnliches kann jedoch als Ursache ausgeschlossen werden. Es gibt Anhaltspunkte, dass die „Feineinstellung“ des Darmnervensystems dabei eine Rolle spielt. Doch welche Ursachen diese „Feineinstellung“ verändern, ist noch weitgehend unbekannt. Es gibt jedoch bekannte Faktoren, die die Entstehung des Reizdarmsyndroms fördern können:

  • Genetische Faktoren
  • Negativer Stress und andere psychische Faktoren
  • Schwere Darminfekte (z.B. Salmonellen, Lambien, EHEC-Bakterien)
  • Fehlbesiedelung des Dünndarms, der normalerweise kaum Bakterien enthält
  • Gestörte Darmflora
  • Umwelteinflüsse in der Kindheit
  • Ernährungseinflüsse
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten (Intoleranzen oder Allergien) können ein Reizdarmsyndrom auslösen. Dabei ist es oft schwierig festzustellen, ob eine begleitende Unverträglichkeit vorliegt, die die Reizdarm Beschwerden nur verstärkt oder ob die Unverträglichkeit selbst die Beschwerden verursacht.

Die Diagnose Reizdarmsyndrom, gemäß den Rom-III-Kriterien (Longstreth et al. 2006), kann gestellt werden, wenn der Patient seit sechs Monaten an Darmstörungen leidet und an mindestens drei Monaten innerhalb eines Jahres Schmerzen oder Unwohlsein im Bauch oder im Unterleib verspürt hat, die mit Blähungen, Druck- und Völlegefühl und Stuhlunregelmäßigkeiten (Durchfall, Verstopfung) einhergingen. Die Zeitangaben sollen dazu dienen das Reizdarmsyndrom von akuten Magen-Darm-Problemen abzugrenzen, die bei jedem hin und wieder auftreten.

Wie entstehen Reizdarm-Beschwerden – was sind FODMAPs? 

Es konnte schon früh nachgewiesen werden, dass bei Reizdarm-Patienten ein Zusammenhang zwischen der Aufnahme von kurzkettigen Kohlehydraten (wie z.B. Fruktose und Sorbitol) und einer Verschlechterung der Beschwerden besteht.

Die meisten Beschwerden des Reizdarmsyndroms, wie Druck- und Völlegefühl, Bauchschmerzen, Stuhlveränderungen, Blähungen, etc. können auf eine starke Aufdehnung (Aufblähung) des Darmes zurückgeführt werden. Bestimmte Bestandteile der Nahrung blähen den Darm auf, weil sie verstärkt Flüssigkeit in den Darm einlagern oder weil sie durch die Darmbakterien vergoren (fermentiert) werden. Dabei entstehen Gase, die den Darm auftreiben. Bei dieser Fermentierung entsteht hauptsächlich Wasserstoff (H2), der über einen Wasserstoff-Atemtest nachgewiesen werden kann. Dieser sollte immer zur Diagnostik beim Reizdarmsyndrom gehören.

Bei diesen vom Darm schwer absorbierbaren und fermentierbaren Lebensmittelbestandteilen handelt es sich um eine Gruppe von Zuckern, die aus dem Englischen mit FODMAP abgekürzt werden:

  • Fermentierbare - (von Darmbakterien schnell abbaubar)
  • Oligosaccaride - (Mehrfachzucker: Fruktane, Galakto-Oligosaccharide)
  • Disaccaride - (Zweifachzucker: Laktose)
  • Monosaccaride - (Einfachzucker: Fruktose)
  • And - (und) 
  • Polyole - (Zuckeralkohole: Sorbit, Mannit, Xylit, Maltit)

Welche Nahrungsmittel enthalten FODMAPs?

Fruktane kommen vor allem in Lebensmitteln aus oder mit Weizen (Brot, Nudeln, Frühstücksflocken) und in einigen Gemüse- und Obstsorten vor. Fruktane sind die häufigste Ursache für Reizdarm-Beschwerden, da sie bei den meisten Menschen einen großen Anteil an der Ernährung haben.

Galakto-Oligosaccaride (GOS) sind insbesondere in Hülsenfrüchten, wie Linsen, Bohnen und Kichererbsen enthalten. Weder Fruktane noch GOS können vom Menschen verdaut oder aufgenommen werden, da das entsprechende Enzym fehlt. Nur ein Teil hat allerdings auch Beschwerden dadurch.

Disaccaride (Zweifachzucker)
Der einzige Zweifachzucker, der Reizdarm-Symptome verursachen kann ist Milchzucker oder Laktose. Milchzucker kommt natürlich in Kuh-, Schaf- oder Ziegenmilch, sowie in entsprechenden Milch-Erzeugnissen vor. Bei Menschen mit einer Laktoseintoleranz produziert der Körper nur geringe Mengen des Enzyms Laktase, das für die Aufspaltung der Laktose im Darm verantwortlich ist. Dementsprechend können davon betroffene Menschen nur geringe Mengen Laktose verarbeitet und vertragen werden.

Monosaccaride (Einfachzucker)
Bei dieser Zuckerart ist es der Fruchtzucker oder Fruktose, der Verdauungsprobleme verursachen kann. Fruktose ist in allen Früchten, Süßungsmitteln, Honig und in einigen Gemüsen (z.B. Zuckererbsen) und Getreiden (z.B. Weizen) enthalten. Wenn Fruktose zusammen mit Glukose aufgenommen wird, kann sie gut resorbiert werden. Enthält ein Lebensmittel aber mehr Fruktose wie Glucose wird der Fruchtzucker nur langsam und unvollständig aufgenommen werden. Deswegen spricht man von „Fruktose-Malabsorption“.

Polyole (Zuckeralkohole)
Natürlich kommen Polyole, wie Sorbit, Xylit, Maltit und Mannit in manchen Obst- und Gemüsearten vor. In der Lebensmittelindustrie werden sie aber oft als Feuchthaltemittel und Zuckeraustauschstoffe eingesetzt, insbesondere in „zuckerfreien“ Getränken, Bonbons oder Kaugummis. Als Lebensmittelzusatzstoffe haben sie E-Nummern, so dass man sie auf Lebensmittelverpackungen identifizieren kann: Sorbit (E420), Mannit (E421), Maltit (E965) und Xylit (E967).

Die Low-FODMAP-Diät

Sieht man sich das Buchangebot an oder recherchiert im Internet, so stößt man auf viele Ernährungsratschläge und Diäten bei Reizdarmsyndrom. Nur wenige können mit wissenschaftlichen Grundlagen oder Belegen die nachhaltige Wirksamkeit bei Reizdarmbeschwerden nachweisen. Für die Low-FODMAP-Diät wurde jedoch in Studien (z.B. Halmos EP, Power VA, Sheperd SJ, Gibson PR, Muir JG. A Diet Low in FODMAPs Reduces Symptoms of Irritable Bowel Syndrome. Gastroenterology. 2014;146:67-75) der wissenschaftliche Nachweis erbracht, dass sie die Symptome des Reizdarmsyndroms deutlich reduzieren und verbessern kann. Mit dieser Ernährungsweise lassen sich erwiesenermaßen bei ca. 75% aller Reizdarm-Patienten die Beschwerden lindern. 

Vorgehen bei der Low-FODMAP-Ernährung

Nach der gesicherten Diagnose Reizdarmsyndrom muss zunächst im Gespräch mit dem Patienten geklärt werden, ob die Bereitschaft zu einer Ernährungsumstellung vorhanden ist. Im Vorfeld sollte ein Ernährungs- und Beschwerde-Tagebuch geführt werden. 

Die Veränderung der Ernährung auf FODMAP-reduzierte Lebensmittel erfolgt in 3 Schritten:

  1. Schritt-Vermeiden:
    alle FODMAP-reichen Lebensmittel werden für 3-4 Wochen vermieden, bis die Beschwerden stark nachlassen oder verschwinden.
  2. Schritt-Probieren:
    in Rücksprache mit dem Arzt wird gezielt ausprobiert, welche Nahrungsmittel (-gruppen) in welchen Mengen vertragen werden können. Dies ist die individuelle FODMAPs-Toleranz.
  3. Schritt-ausgewogene Ernährung:
    Ein Leben und eine Ernährung mit möglichst wenigen persönlichen Lebensmitteleinschränkungen, die die Beschwerden ausreichend reduziert ist das Ziel der Behandlung.

Wie kann man FODMAPs vermeiden? 

Zu vermeiden
FODMAP-reich

Alternativen
FODMAP-arm

ObstApfel, Birne, Mango, Wassermelone, Nektarine, Kaki, weißer Pfirsich, Aprikose, Kirsche, Feige, Baumtomate Dosenobst, Fruchtsaft, Fruchtsoßen, Trockenobst, Honig, Fruktose, Fruktosesirup, Maissirup, AgavendicksaftBanane, Blaubeere, Brombeere, Cranberry, Erdbeere, Grapefruit, Himbeere, Honigmelone, Kiwi, Limette, Mandarine, Orange, Passionsfrucht, Rhabarber, Traube, Zitrone, Ananas
GemüseSpargel, Artischocken, Zuckererbse, Aubergine, Broccoli, Fenchel, Knoblauch, Kohl, Lauch/Porree, Rosenkohl, rote Beete, Zwiebeln, Bohnen, Linsen, Mais, KichererbsenAvocado, Bambus-/Bohnen-Sprossen, Gemüsepaprika, Karotten, Blumenkohl, Bleichsellerie, Chinakohl, Schnittlauch, Gurke, Endivie, Ingwer, Kopfsalat, Pilze, Oliven, Pastinaken, grüne Bohnen, Kartoffeln, Kürbis, Mangold, Spinat, Tomate, Zucchini, Tofu, Kräuter
GetreideWeizen, Roggen, Gerste und deren Produkte, Brot, Nudeln, Couscous

Glutenfreies Mehl/Brot, Dinkel, Reis, Hafer, Hirse, Polenta, Quinoa, Tapioka, Flohsamen
Milchprodukte Kuh- Schaf-oder Ziegenmilch, sowie Produkte, Rahm, Frischmilchkäse, Hüttenkäse, Ricotta, Mascarpone, Eiscreme, Pudding, Desserts auf Milchbasis, Milchpulver, Kondensmilch, Joghurt

Laktosefreie Milch, Sojamilch, Reis-, Hafer-, Mandel- und Quinoa-Milch und Erzeugnisse daraus, gereifter Käse (Brie, Gouda, Emmentaler, Camembert, Parmesan etc.)
anderePistazien, Cashewnüsse, Kekse, Weizenkleie, Inulin, Süßungsmittel Sorbit, Mannit, Maltit, Xylit, Isomalt, Polydextrose und alle Erzeugnisse, die damit gesüßt sind (Kaugummi, Bonbons, Getränke)Bohnenkaffee, Tee, Leinsamen, Haferkleie, Reiskleie, weißer Haushaltszucker (begrenzt), Rohrzucker, Traubenzucker, Ahornsirup, Melasse, Erdnussbutter, Nutella, Aspartam, Saccarin, Stevia