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30Nov

Hochsensibilität: Was es ist, wie es sich anfühlt und wie man damit umgeht, wenn alles ein bisschen zu viel ist

Hochsensibilität / Hypersensibilität

Was ist Hochsensibilität?

Hochsensibilität oder auch Hypersensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, welches sich durch eine intensivere Wahrnehmung von Reizen kennzeichnet.
"Alles ein bisschen zu viel” könnte man es auch beschreiben, wenn man versucht, zu erklären, was Hochsensibilität ist.

Dr. Elaine N. Aron, US-amerikanische klinische Psychologin, Psychologieprofessorin und Psychotherapeutin, führte Forschungsarbeiten zur Sensibilität (sensorische Verarbeitungssensibilität - "sensory-processing sensitivity") durch und veröffentlichte 1996 ihr Buch mit dem Titel “The Highly Sensitive Person - How To Thrive When The World Overwhelmes You“.
Sie gilt als Begründerin des Ansatzes der Hochsensibilität („Highly Sensitivity“).

Das lateinische Wort ‘sensibilis’ bedeutet “der Empfindung fähig”. Sensibilität gehört zur Grundausstattung eines Menschen, ist jedoch individuell und unterschiedlich stark ausgeprägt.

Hochsensible Personen haben eine höhere Reizverarbeitungssensibilität („Sensory Processing Sensitivity“), wodurch sie in einer Situation deutlich mehr Reize aufnehmen als „normal“ sensible Menschen. Das geschieht, vereinfacht erklärt, da die neuronalen Filter bei hochsensiblen Menschen deutlich mehr Reize als relevante Reize einstufen, als dies bei „normal“ sensiblen Menschen der Fall ist.

Hochsensibilität Filter

Dadurch haben hochsensible Menschen auch ein breiteres und vor allem intensiveres Wahrnehmungsvermögen und nehmen somit ihre Umwelt mit allen Sinnen feiner und genauer wahr.
Teilweise reagieren Hochsensible auch auf eine bestimmte Art von Reizen (akustisch, visuell, olfaktorisch, gustatorisch, haptisch und taktil) besonders intensiv.

Wie viele Menschen sind hochsensibel?

Etwa 15-20 % der Bevölkerung weisen laut Studien eine deutlich höhere Sensibilität als die Mehrheit der Menschen auf.

Dabei wird inzwischen vermutet, dass Hochsensibilität durch genetische Veranlagung und veränderte Aktivitäten verschiedener Hirnstrukturen entsteht.

Wie zeigt sich Hochsensibilität?

Das intensivere, feinere und genauere Erleben und Wahrnehmen von Hochsensiblen unterscheidet sich im Vergleich zu normal-sensiblen Menschen vor allem in vier Komponenten:

1) Art der Wahrnehmung (sensorisch)*:

  • Umweltbezogene Details, wie z.B. Umgebungs- und Hintergrundgeräusche aber auch Lichtverhältnisse, bspw. grelles Licht, werden stärker und störender wahrgenommen
  • Berührungen oder auch Empfindungen, wie bspw. ein unbequemes Kleidungsstück, wie ein kratziger Pullover, werden intensiv gespürt
  • Innere Wahrnehmungen des eigenen Körpers, wie z.B. ein leichtes Bauchzwicken oder nervöser, erhöhter Herzschlag, werden bewusst wahrgenommen

2) Art des Denkens (kognitiv)*

  • Oftmals findet detaillierteres und vertiefteres Nachdenken statt
  • Es wird viel hinterfragt und analysiert
  • Sachverhalten wird meist ganz genau auf den Grund gegangen
  • Komplexe Zusammenhänge werden schnell erfasst
  • Übergreifendes Denken, Planung und Vorbereitung sind insbesondere für das Treffen von Entscheidungen ausschlaggebend

3) Art des Fühlens (emotional)*

  • Hohes Maß an gefühlsmäßiger Resonanz, ausgeprägte Empathie gegenüber Mitmenschen
  • Besonders feinfühlige Wahrnehmung hinsichtlich Stimmungen und Befindlichkeiten sowie nonverbalen Mitteilungen anderer Menschen
  • Stärkere und intensivere negative wie auch positive Empfindungen
  • Gefühle anderer Menschen können oft nicht von den eigenen Gefühlen unterschieden bzw. abgegrenzt werden

4) Übererregbarkeit

Durch die Vielzahl der zu verarbeitenden Reize fühlen sich Hochsensible insgesamt schneller überreizt, überstimuliert und überfordert. Sie brauchen meist auch länger, um Eindrücke, Erfahrungen, Situationen, etc. zu verarbeiten.

Auszeiten und Rückzugsmöglichkeiten sind für hochsensible Menschen daher sehr wichtig.

*es handelt sich hierbei um ausgewählte Merkmale - die Liste ist keinesfalls vollständig!

Wie zeigt sich Hochsensibilität bei Kindern?

All die oben beschriebenen Merkmale gelten selbstverständlich nicht nur für Erwachsene, sondern lassen sich auch bei hochsensiblen Kindern beobachten.

Dabei können u.a. folgende Punkte spezielle Anzeichen und Merkmale für hochsensible Kinder sein:

  • Sind sehr fantasievoll
  • Teilen gerne
  • Sind eher vorsichtig und können Gefahrensituationen gut einschätzen
  • Verfügen schon früh über einen guten Wortschatz und haben viele (tiefgreifende) Fragen
  • Meiden Konkurrenzsituationen und sind sehr hilfsbereit
  • Neigen bei Stress zu Kopf- und Bauchschmerzen/Übelkeit
  • Beobachten, bevor sie etwas ausprobieren oder Neues wagen
  • Mögen keine spontanen Überraschungen und Veränderungen
  • Vertiefen sich sehr ins Spiel und vergessen die Welt um sich herum
  • Große Menschenmengen machen sie oft unruhig
  • Neigen zu intensiven Träumen und Perfektionismus
  • etc.

Hochsensibilität bei Kindern

Kann man Hochsensibilität austesten?

Hochsensibilität ist ein Merkmal. Etwas, das das Wesen, das Temperament, die Empfindung und Wahrnehmung eines Menschen mitprägt.

Es handelt sich hierbei nicht um eine Krankheit, weshalb es auch keine offiziellen diagnostischen Verfahren gibt.

Neben dem im oben genannten Buch von Dr. Elaine Aron abgebildeten Test zur Hochsensibilität, gibt es inzwischen verschiedene Tests in Büchern oder auf Internetseiten, die eine erste Einschätzung bzw. Orientierung ermöglichen.

Da viele der oben genannten Merkmale von hochsensiblen Erwachsenen und Kindern aber durchaus auch bei feinfühligen oder normal-sensiblen Erwachsenen oder Kindern beobachtet werden können und sich auch innerhalb der Hochsensibilität große Unterschiedlichkeiten zeigen, sollte eine vorschnelle „Eigendiagnose“ unbedingt vermieden werden.
Bei der Suche nach professioneller Hilfe und Unterstützung sollte in jedem Fall eine entsprechend fachliche Qualifizierung berücksichtigt werden!

Woran erkenne ich geeignete und qualifizierte Fachleute, wenn ich mir Unterstützung suchen möchte?

Zunächst einmal muss man sich klar darüber werden, welchen persönlichen Bedarf es gibt.

Geht es darum, Unterstützung zu bekommen, um einen guten Umgang mit der Hochsensibilität zu finden und dadurch einen selbstbestimmten, achtsamen sowie selbstbewussten hochsensiblen Alltag für sich zu kreieren, ist ein Coaching oder eine Beratung der richtige Ansatz.

Besteht der ersten Einschätzung nach eher der Bedarf in Richtung einer Therapie, sollte man unbedingt nur entsprechende Fachleute, wie Psychologen, Psychotherapeuten, Psychiater aufsuchen, da Coaches und Berater nicht heilen bzw. therapieren dürfen.

Im Bereich Coaching/Beratung von hochsensiblen Menschen gibt es aktuell noch keine anerkannte oder zertifizierte Ausbildung. Trotzdem gibt es inzwischen viele Angebote, zumal die Berufsbezeichnung „Coach“ nicht geschützt ist.
Ein guter Hinweis auf eine angemessene Qualifizierung kann neben einer entsprechenden Ausbildung zum (systemischen) Coach, Berater, welche mindestens 1,5 Jahre Ausbildungszeit mit Theorie, Praxis und Selbsterfahrung umfasst, Folgendes sein:

  • Möglichkeit zum Kennenlerngespräch
  • Zugehörigkeit zu einem Dachverband unter Voraussetzung einer entsprechenden Ausbildung
  • Bereitschaft zur Überweisung an Fachleute, wenn ein entsprechender therapeutischer Bedarf erkannt wird. Dies klärt sich meist schon im ersten Kennenlerngespräch. Gute Coaches und Berater kennen und wahren ihre Grenzen.

Wie kann man mit Hochsensibilität im Alltag gut leben und umgehen?

Um einen guten Umgang mit der eigenen Hochsensibilität finden zu können, ist es wichtig,

sich selbst damit bewusst anzunehmen,

die eigenen Bedürfnisse und Herausforderungen zu (er-)kennen und

sich verstehen zu lernen, um sein Leben entsprechend ausrichten zu können.

Neben professioneller Unterstützung durch geeignete und qualifizierte Fachleute können für hochsensible Erwachsene und Kinder folgende Dinge erste Entspannung und Ruhe in den hochsensiblen Alltag bringen:

Feste Tagesstrukturen, Routinen und Rituale: Morgen- und Abendroutine, feste Pausenzeiten

Veränderungen und unbekannte Situationen (emotional und gedanklich) vorbereiten

Selbstwahrnehmung fördern: Was tut mir gut, was fühlt sich gerade nicht gut an und was könnte der Grund dafür sein?

Reizarme Umgebung schaffen: Mehrere Reize auf einmal vermeiden (z.B. Radio aus beim Essen), Screentime kontrollieren, Raum für Auszeit, etc.

Verständnis: Verständnis für sich und seine besonderen Bedürfnisse und Herausforderungen entwickeln.

 

Isabella Kiening, zertifizierte systemische BeraterinIn Zusammenarbeit mit Isabella Kiening (www.isabellakiening.de), zertifizierte systemische Beraterin (DGSF - Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie) mit Spezialisierung auf Hochsensibilität.

 

 


Literatur:

Aron, Elaine (2014): Das hochsensible Kind. Wie Sie auf die besonderen Schwächen und Bedürfnisse Ihres Kindes eingehen. 6. Aufl. München: mvg Verlag

Aron, Elaine (2019): Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen. 13. Aufl. München: mvg Verlag

Hensel, Ulrike; Tschepp, Christian (2013): Mit viel Feingefühl. Hochsensibilität verstehen und wertschätzen (Reihe Aktive Lebensgestaltung Hochsensibilität). Paderborn: Jungfermann Verlag

Hensel, Ulrike (2015): Hochsensible Menschen im Coaching. Paderborn: Jungfermann Verlag